Folgen von Kriegsgefangenschaft


Um die Folgen von Kriegsgefangenschaft im Kontext des 2. Weltkriegs besser zu verstehen ist ein Blick auf die Erzählungen ehemaliger deutscher Kriegsgefangener in Russland bzw. der Sowjetunion hilfreich. Die Lebensbedingungen insbesondere in den russischen Lagern waren zeitweise lebensbedrohlich. Der Historiker Rüdiger Overmans beschreibt in einem Beitrag zu den sowjetischen Lagern, dass unter den Kriegsgefangenen bis 1942/43 nur 5% überlebten. Zwar verbessert sich dann die Situation, aber bis 1946 beschreibt er die Versorgung in den Lagern als unzureichend.

Hunger und Mangelversorgung

Insbesondere Gefangene aus den russischen Gefangenenlagern berichteten daher über eine katastrophale Versorgungslage.  Die Gefangenen berichteten zuwenig Nahrung erhalten zu haben oder solche von schlechter Qualität und auch die mediznische Versorgung wurde als mangelhaft beschrieben.

… und dann die Wassersuppe, die du gekriegt hast und da bin  ich runtergekommen auf 104 Pfund. Als russisch Distophiker.

Sind Sie wegen der Abmagerung dann entlassen worden aus der Gefangenschaft?

Ne, ne wieder langsam hochgepäppelt. Biste woanders hingekommen in ein anderes Lager …

Als Sie dann so runtergemagert waren, wurden Sie wieder aufgepäppelt, haben Sie gesagt?

Des war ein sogenannter Distrophiker, da is man da in ein Lager reingekommen, wo man aufgepäppelt worden ist, einigermassen.

Unter dem medizinischen Begriff Hungersystrophie sind mehrere Symptome zusammengefasst. Unter anderem wird das Denken und Handeln vom Hunger dominiert. Ehemalige Gefangene erzählen, dass sie gar nicht mehr in der Lage waren zu denken und immer nur ans Essen dachten. Ihre Situation verbessern konnten diejenigen, die alles essbare verzehrten, egal ob es Brennesselsuppe oder Abfälle waren. Andere Möglichkeiten waren das Beschaffen von Nahrung, z.B. durch „Vitamin B“.  Leider konnte die Hungerdystrophie auch bleibende körperlichen Schäden hinterlassen.

Psychische Folgen

Auch hier waren es amerikanische Militärpsychiater, die erstmals wissenschaftlich untersuchten, welche psychischen Folgen Kriegsgefangenschaft auslösen kann. In zwei verschiedenen Studien stellten Greenson sowie Strassmann, Thaler und Schein in den 50’er Jahren bei Kriegsgefangenen des Korea-Kriegs ein Apathie-Syndrom fest (Quelle: The Prisoner of War). Eine bestimmte Verhaltensweise der Gefangenen wird mit den englischen Begriffen „withdrawal and detachment“ umschrieben, dafür finden sich Übersetzungen wie Ausstieg, Rückzug, Distanziertheit oder Bindungslosigkeit. Das Apathie-Syndrom half den Gefangenen zu überleben, Energie zu sparen und nicht aufzufallen um z.B. körperliche Misshandlung zu vermeiden. Als Schlussfolgerung könnte man ziehen, dass solche Verhaltensweisen ein Leben lang die Persönlichkeit beeinflussen können.

In der Veröffentlichung des kroatischen Kriegspsychiaters Klain aus dem Jahr 1992 (Psychology and Psychiatry of War) wird davon ausgegangen, dass die überwältigende Mehrheit von 95-100 % der kroatischen Kriegsgefangenen eine posttraumatische Stressreaktion davontrugen, die sich beispielsweise als posttraumatische Belastungsstörung, generalisierte Angststörung, Alkoholmissbrauch oder Depression äußern.

Mit diesem Wissen lässt sich verstehen, warum für viele Betroffene die eigene Geschichte der Gefangenschaft noch heute so bedeutsam ist. Hier finde ich zum Abschluss die Aussage des Bundeswehr-Flottenarztes Roger Braas in einem Interview mit der Rhein-Zeitung passend: “Dabei hätte man nach dem Zweiten Weltkrieg die ganze Nation behandeln müssen”.